Man meint, die spielen Skat
Die Parlaments- und Parlamentarismuskritik hat eine lange Tradition in Deutschland.
Der Schriftsteller und Humorist Hans Gustav Bötticher – besser bekannt unter seinem Künstlernamen Joachim Ringelnatz – veröffentlichte 1928 die Gedichtsammlung »Allerdings«. Auf den Seiten 87f. findet sich das folgende Stück:
DAS PARLAMENT
Im Parlament geht’s zu.
Was die für Schnäbel haben, –
Da sind wir Waisenknaben
Dagegen, ich und du.Mein Onkel Rolf aus Rügen,
Der ist einmal hineingewählt.
Wenn er recht voll ist und erzählt,
Dann merkt man, wie die lügen.Ich habe selber zugeschaut,
Wie der das Volk vertrat.
Das geht auf keine Kuhhaut.
Man meint, die spielen Skat.Nur manchmal, wenn der Präsident
laut läutet, gibt es Ruhe.
Doch alles, was im Parlament
Geschieht, ist nur Getue.Sie wollen sich in Wirklichkeit
Nur Großtun und vertagen
Und freun sich auf die Ferienzeit.
Wo wir die Steuern tragen.Mir geht das ganz daneben.
Ich bin selbst im Gesangsverein.
Die wolln halt auch beisammen sein.
Und jeder Mensch will leben.
Die Gedichtsammlung erschien in der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik nach dem Völkerbundsbeitritt 1926.
Aus Sicht des Parlamentarismusforschers stellt sich die Frage, wie nach Ringelnatz das parlamentarische System hätte funktionieren sollen.
Sollten keine polemischen Fensterreden gehalten werden? Zwischenrufe scheinen ihm die erwünschte Ordnung und Ruhe zu stören.
Wie sollen Kompromisse ausgehandelt werden?
Die Konfliktlinien zwischen den Fraktionen werden am Schluss eingeebnet. Ob Kommunist, Sozialdemokrat oder Deutschnationaler, alle Abgeordneten ersehnen nur den Beginn der Parlamentsferien, um es sich auf Kosten des Steuerzahlers gut gehen zu lassen.
Dies sind Topoi einer Kritik des Parlamentarismus, die bis in die Gegenwart tradiert wurden.